• "Versäumt nicht, zu üben die Kräfte des Guten."

    aus dem Gedicht "Symbolum" von
    Johann Wolfgang von Goethe (Freimaurer, Loge Anna Amalia, Weimar)

SOLL DAS LEBEN SELBSTZWECK SEIN?

Bauriss von Br. J. S. im Oktober 2002

Die Tugend - Eine Seele, die das Wahre erkennt, die weiss was zu fliehen, was zu erstreben ist, die den Wert der Dinge nicht nach dem Wahne, sondern nach ihrem wahren Wesen bestimmt, die in das Weltganze eindringt und jedem Teil desselben ihre Betrachtung widmet, aufs Denken wie aufs Handeln gleich bedacht, gleich gross und kräftig, vom Widrigem wie vom Angenehmen gleich unbesiegt, keinem Geschicke sich beugend, über alles erhaben, was ihr begegnet und widerfährt, schön mit Würde, bei aller Kraft besonnen und nüchtern, unbeunruhigt und unverzagt, durch keine Macht gebrochen, durch kein Ereignis gehoben noch niedergedrückt - so ist die Tugend (Seneca).

"Die Tugend" aus den Briefen an Lucilius. Wenn ich meiner Zeichnung die Definition der Tugend des Stoikers SENECA vorangestellt habe, so möchte ich damit zu erkennen geben, dass ich die Frage "Soll das Leben Selbstzweck sein" als eine Frage nach der Lebenstugend verstehe. Doch was hat das Wort "Selbstzweck" in dieser Frage für einen Sinn? Was verstehen wir unter Selbstzweck? Ist es der Egoismus oder steckt mehr dahinter? Eine Antwort auf die Frage dieser Arbeit kann erst gegeben werden, wenn der Sinn verstanden wird. Sicher gehört dazu der materielle Egoismus, aber auch der geistige Egoismus, die Intoleranz. Egoismus ist der Selbstsucht, dem Eigennutz, dem Streben nach eigenem Vorteil und Glück ohne Rücksicht auf den Mitmenschen gleichzusetzen. Wir haben somit eine klare Definition für das Wort Selbstzweck. Selbstzweck ist damit sicherlich keine Tugend, sondern eine Untugend. Uebertragen wir diesen Begriff auf das tägliche Leben, auf unsere nächste Umgebung, so erkennen wir die mannigfaltigen Formen in der sich diese Untugend zeigt. Auch wir selbst ertappen uns dabei, sofern wir selbstkritisch genug sind, wie wir ihr, wenn auch nur im kleinen, unterliegen.

Prüfen wir uns jedoch selbst: Wie verhalten wir uns gegenüber unseren Nächsten, unserer Familie? Sind wir der Selbstlose, der tolerante Partner und Vater? Wie treten wir unseren Brüdern gegenüber, sind wir ihnen Bruder? Ist es uns bewusst, dass wir mit unserem Gelübde nicht nur eine Verpflichtung für uns, sondern noch vielmehr eine Verpflichtung gegenüber unseren Brüdern eingegangen sind? Ist nicht schon die Nachlässigkeit im Logenbesuch und in der Erfüllung der maurerischen Pflichten ein Zeichen des Egoismus? Bedenken wir, dass wenn sich der Freimaurer dem Egoismus ergibt, er nie einen wahren Gewinn aus der Freimaurerei ziehen wird. Wie stehen wir zu unseren Untergebenen, zu unseren Mitarbeitern? Versuchen wir sie zu verstehen, gehen wir auf sie ein, haben wir Zeit für sie, auch wenn sie mit ihren persönlichen Nöten und Sorgen zu uns kommen oder wenn ihre Anliegen für uns unbequem sind? Wie stehen wir zu unseren Mitmenschen, zum Nachbarn, zum Menschen, dem wir täglich begegnen, sei es auf der Strasse, im öffentlichen Verkehrsmittel, bei unseren täglichen Verrichtungen? Schliessen wir uns ihm gegenüber ab oder bemühen wir uns, ihm entgegenzugehen, zu erkennen wenn er unserer Hilfe bedarf? Sind wir bereit, uns mit ihm zu freuen aber auch mit ihm zu leiden? Und - was gerade heute wichtig ist, im Grunde genommen immer wichtig war, wie verhalten wir uns zur Umwelt, zu der uns vom A.B.a.W. anvertrauten Welt, zur Natur? Eine Gabe die für alle Menschen aber auch für die Tierwelt bestimmt ist, die wir uns jedoch nie zu Eigen machen dürfen. Sind wir immer bereit auf persönliche Annehmlichkeiten zu verzichtet, um diese Gabe uns, unseren Mitmenschen und Nachkommen zu erhalten? Sind unsere Entscheide und unsere Handlungen frei von egoistischen Einflüssen, von Rücksichtnahme auf unser persönliches Wohlergehen? Ich habe im Vorgehenden zur Selbstprüfung, zur Selbsterkenntnis aufgefordert. Diese Aufforderung soll an unsere Beförderung zum Gesellen erinnern. Wurden wir nicht da schon zur Selbsterkenntnis aufgefordert? Wir wurden einem Bildnis gegenüber gestellt, unserem Spiegelbild, unserem eigenen Ich. Haben wir die Aussage dieses Symbols erkannt, haben wir unsere Zeit genützt und an uns gearbeitet? Haben wir die Antwort auf die Fragen über unser Verhältnis zum Nächsten, zu unserer Familie, zum Bruder, zum Mitmenschen, zum Untergebenen, zur Umwelt gefunden? Dieser Weg ist beschwerlich, denn die Antworten muss ein jeder in sich selbst finden und niemand wird ihm dabei helfen. Doch einmal am Ziel, ist die Beantwortung der Kernfrage dieser Arbeit ein leichtes: "Das Leben kann nicht, darf nicht Selbstzweck sein." Für den Freimaurer, der das Wesen der königlichen Kunst erkannt und verstehen gelernt hat, kann die Antwort auf die Frage ebenfalls nur "NEIN" sein. Für ihn ist das Leben nicht Selbstzweck. So wie der Freimaurer seinen kubischen Stein aus dem rauhen oder rohen Stein herausschafft, so tut er dies nicht um das Ergebnis wohlgefällig und selbstgefällig zu betrachten sondern der Stein muss sich in den symbolischen Tempel an dem wir Freimaurer bauen, einfügen. Es ist also nicht Selbstzweck, die Arbeit des Freimaurers, indem er an sich selbst arbeitet, arbeitet er für die Gemeinschaft, für seinen Mitmenschen. Lasst mich die Frage einmal anders herum stellen, lasst mich nach dem Zweck des Lebens fragen. Die Antwort darauf dürfte ebenso schwer zu finden sein, denn auch sie liegt in uns. Wir Freimaurer sprechen vom symbolischen Tempel der Humanität an dem wir bauen. Humanität, vom lateinischem Humanitas, bedeutet Menschlichkeit, Bildung aber auch Anerkennung der eigenen Verantwortlichkeit für das Wohl der Mitmenschen. Dies lässt mich zum Schluss kommen: "Der Sinn des Lebens liegt in der Verantwortung für unsere Mitmenschen." Jeder von uns muss bereit sein an sich zu arbeiten, um diese Verantwortung zu übernehmen und zu tragen. Es ist eine der Pflichten, die uns vom A.B.a.W. aufgegeben; uns in die Lage versetzt diese Aufgabe übernehmen zu können. Dies ist die Arbeit des Freimaurers, indem wir an uns arbeiten, dass dereinst unser kubische Stein sich in das Werk einpasst. Sie führt wir uns zur Humanität und setzt uns in die Lage den eigentlichen Zweck des menschlichen Lebens zu erfüllen. Allzu leicht wird es dem Menschen heute gemacht, Humanität zu üben. Fertig vorbereitete Einzahlungsscheine flattern uns ins Haus, und per Postanweisung, vom Schreibtisch aus, kann die menschenfreundliche Tat vollbracht werden, und schon fühlt man sich als kleiner Philanthrop, als Menschenfreund. Doch diese Art von Humanität ist nur eine Alibiübung, sie hat nichts mit der uns aufgegeben Pflicht zu tun. Sicher ist auch materielle Hilfe vonnöten, doch diese kann seelische Not nicht lindern.In der heutigen Wohlstandsgesellschaft jedoch ist gerade die seelische Not ein ernst zu nehmendes Problem. Die Linderung dieser Not erheischt aber unseren ganz persönlichen Einsatz. Wir müssen daher unsere Sinne so schärfen damit wir die seelische Not unseres Mitmenschen auch erkennen. Wir sollen dann auf ihn zugehen und uns nicht abwenden. In solchen Momenten ist unser persönlicher Einsatz notwendig auch wenn er uns unsere Zeit kostet. Dies sind die Momente wo wir unsere maurerische Gesinnung unter Beweis stellen können wo wir beweisen dass wir das Wesen der Freimaurerei verstanden haben. So dienen wir der Menschheit als Freimaurer. "Schweigen und Dienen" ist des Johannismeisters Pflicht, so werden wir in unserem Maurerleben ermahnt. Das "Dienen" d.h. unseren persönlichen Einsatz sollen wir uns zur Aufgabe machen."Dienen" dieses Wort besagt viel, doch aufgepasst Dienen soll nie zur Unterwürfigkeit führen. Auch im Dienen soll der Mensch sich selbst achten. Nur der kann wirklich dienen der frei ist, innerlich frei, der im Besitz der Tugend ist wie sie Seneca in seinem Brief an Lucillius beschreibt, den ich dieser Zeichnung vorangestellt habe.Betrachten wir die Tugend wie Seneca sie versteht mit dem geschärften Sinn eines Freimaurers, so erkennen wir darin den vollkommenen Kubus, unseren kubischen Stein, wie er dereinst in das symbolische Bauwerk, in den Tempel der Menschlichkeit, der Humanität, eingefügt werden wird. Wir finden eine Darstellung, obschon bald 2000 Jahre alt, die auch heute noch ihre Gültigkeit hat. Fragen wir uns nun wie wir dienen können, so finden wir die Antworten in den Fragen zur Selbstprüfung zu der ich zu Beginn der Arbeit aufgefordert habe. Wir erkennen dabei dass uns bereits im kleinen, bei unseren täglichen Verrichtungen und Begegnungen, vielfältige Möglichkeiten zum Dienen gegeben werden. Im Kleinen sollen wir anfangen um für die grossen Aufgaben bereit zu sein. Heute herrscht die Tendenz vor nebeneinander zu leben statt miteinander. Gerade dasMiteinander oder besser noch das Füreinander leben ist heute mehr denn je vonnöten. Die elektronischen Medien, wie auch die allgegenwärtige Boulevardpresse drohen dem heutigen Menschen das Denken abzunehmen so dass er in Gefahr läuft seine eigene Urteilsfähigkeit zu verlieren.Der durch die heutige, vermehrt auf Materialismus tendierende Zeit, besonders beanspruchte und dadurch gestresste Mensch läuft in Gefahr zum reinen Konsument zu werden, denn es fehlt ihm die Zeit um über das Leben selbst nachzudenken, er wird gelebt. Die Medien, Print- oder Elektronische, legen uns heute schon zum Frühstück, ungefiltert und und nicht immer gut recherchiert die Antwort auf anstehende Probleme vor. Aber dem gestressten Menschen selbst fehlt schlicht die Zeit ein eigenes Urteil zu bilden. Und jetzt komme ich mit der Ermahnung für den Mitmenschen da zu sein, auf ihn zuzugehen und ihm helfen in Erfüllung der maurerischen Pflicht.Es ist daher an der Zeit dass !wir uns an die Werkzeuge des Lehrlings erinnern, da wahr doch der Masstab dessen Symbolik uns der Br. 2. Aufseher wie folgt erklärte: "Der Masstab soll Euch immer ermahnen, Eure Zeit recht einzuteilen ... die Zeit für die Arbeit, für Eure Familie, für Eure Mitmenschen, zur Besinnung, zur Erholung." Wir kommen daher nicht umhin diesem Masstab mehr Beachtung zu spenden und uns nicht mehr von der Zeit jagen zu lassen, sonder von der uns gegeben Zeit weisen Gebrauch zu machen. Dadurch dass wir Menschen uns anstrengen wieder mehr Zeit füreinander aufzubringen, wieder Zeit finden für Gespräche in der Familie, mit dem Mitmenschen, können wir dem Materialismus und der damit verbundenen Vereinsamung entgegenwirken. Die Drogen, die ganz zu Anfang als Zeichen der Uebersättigung unserer Wohlstandsgesellschaft abgetan wurden, dienen heute bei vielen Menschen der Flucht aus der Wirklichkeit, den täglichen Sorgen, aus der Vereinsamung. Früher waren es vor allem Jugendliche die Opfer der Drogen werden. Unsere Kinder, die ein materiell wohl behütetes Zuhause haben, haben kalt und frieren ob der inneren Vereinsamung. Niemand ist da der Zeit für sie hat, der ihnen zuhört, ihnen ihre Angst vor der Zukunft nimmt, sie stark macht ein Licht hinter den dräuenden Wolken der Zukunft zu sehen um ihr, der Zukunft, erwartungsvoll entgegenzugehen.Heute aber stehen wir auch als Erwachsene wieder der harten Wirklichkeit gegenüber, durch den Niedergang der Wirtschaft durch den latenten Börsencrash unseren als sicher geglaubten Arbeitsplatz und unsere Ersparnisse zu verlieren.Gerade in dieser Zeit sollen wir uns unserer Verantwortung für unsere Mitmenschen bewusst werden und auf den Br. und Mitmenschen in Not zugehen und ihm in seiner seelischen Not beistehen. So geben wir ihm die Kraft an die Zukunft zu glauben. Die Geborgenheit der früheren Grossfamilien fehlt, damals war immer jemand da der Zeit fand zuzuhören, zu dem man sich mit seinen Aengsten und Sorgen flüchten konnte. Zu stark ist der Mensch heute auf den Erwerb materieller Güter ausgerichtet und der harte Konkurrenzkampf in der heutigen Gesellschaft lässt ihm zu wenig Zeit für die Familie, für die Kinder. Wir müssen lernen zu verzichten, zu verzichten auf die sogenannten Annehmlichkeiten der heutigen Konsumgesellschaft. Sind wir dazu bereit so werden wir gewinnen. Der Sinn des Lebens erkenne ich daher in der Humanität, der Menschlichkeit, der Anerkennung unserer eigenen Verantwortlichkeit für das Wohl des Mitmenschen. Lasst mich daher mit den Worten Senecas schliessen: "Wer an Eifer und treuem Streben nur etwas nachlässt, muss rückwärts gehen."