• "Versäumt nicht, zu üben die Kräfte des Guten."

    aus dem Gedicht "Symbolum" von
    Johann Wolfgang von Goethe (Freimaurer, Loge Anna Amalia, Weimar)

Johannisfest

Johannes der Täufer: ein freimaurerischer Bauriss zum Johannestag

Rede von Br:. W. H. am Johannistag

Fragt man einen Freimaurer, warum wir den Tag Johannes' des Täufers feiern, so wird er antworten; "weil Johannes der Schutzpatron der Maurer war". Das ist richtig. Seit Anfang des 12. Jahrhunderts ist der Täufer als Patron der Steinmetzen überliefert, vor allem in England, während in Deutschland oft die "Vier Gekrönten", die Quatuor Coronati diese Stelle einnehmen. Und mit den Maurerwerkzeugen haben die Freimaurer auch Johannes den Täufer als Schutzpatron übernommen. Warum aber gerade den Täufer, warum gerade ihn? Wer war er eigentlich? Die Bibel, im Matthäusevangelium, sagt, dass der Täufer am Jordan ein Kleid von Kamelhaaren hatte, einen ledernen Gürtel um seine Lenden und seine Speise waren Heuschrecken und wilder Honig. Mir hat vor diesem etwas unappetitlichen Mann immer etwas gegraust, bis ich seine Botschaft begriff. Sie ist revolutionär: "Tut Busse, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen", heisst sie. Er sagt Jesus voraus, "der stärker ist als ich". Von sich selbst aber sagt er das grossartige Wort: "Ich bin nur der Rufer in der Wüste." Seine Botschaft heisst also, in moderner Sprache, eine bessere Welt als unsere gegenwärtige, eine menschlichere, brüderlichere, freiere Gesellschaft als die unsere, ist möglich. Ist das nicht gerade auch die Botschaft der Freimaurerei? Der Glaube, dass diese Welt verbesserungsfähig ist, wenn wir an unserer Vervollkommnung arbeiten (Johannes hätte gesagt "wenn wir Busse - d.h. Besserung - tun"). Die Freimaurerei ist der Versuch, in ihren Logen modellhaft eine solche bessere Gesellschaft vorzuleben. Und sind wir Freimaurer nicht auch Rufer in der Wüste? Rufer in einer profanen Welt, die unsere Botschaft nur widerwillig und mit Skepsis annimmt? Wenn wir das alles bedenken, so haben unsere maurerischen Vorgänger zu Recht und mit gutem Grund Johannes den Täufer zum Schutzpatron gewählt. Johannes, ist das nicht in der ganzen christlichen Welt seit jeher der beliebteste männliche Vorname? Johann, Hans, Jean, John, Giovanni und Juan nannte man die männlichen Kinder am liebsten und selbst in Zürich, wo man früher traditionell Heinrich hiess, wurde meist ein Johann, Heinrich daraus. Aus Sympathie für den Täufer? Es mag sein, dass die Sympathie auch dem anderen Johannes, dem Evangelisten, ebenso gilt und auch von ihm müssen wir heute reden. Seiner gedenken viele Logen ebenfalls. Meistens im Winter. Von ihm sagen die drei ersten drei Evangelien nur wenig; dass er der Jünger war "den Jesus liebte', dass er beim Abendmahl Jesus fragte, wer ihn denn verraten werde und dass er mit Maria und Maria Magdalena vor dem Kreuz Christ stand. Aber der Jünger Johannes hat ein eigenes, das vierte Evangelium hinterlassen. Es ist zwar fraglich, ob es der Jünger Johannes verfasst hat, denn man kennt es erst Ende des 1. Jahrhunderts und Johannes gibt sich nicht als Autor zu erkennen. Aber wer auch immer es geschrieben haben mag: es ist das Evangelium, welches wir in der Loge immer aufschlagen. Mit gutem Grund, denn das Johannesevangelium beginnt mit einem Prolog von fünf Versen, die von ungeheurer esoterischer Eindringlichkeit sind: "Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen." Am Anfang war das Wort. So hat es Luther übersetzt, denn das Wort Gottes, die Gewissheit, dass Gott zum Menschen spricht, war für ihn von zentraler Bedeutung. Aber die Uebersetzung ist problematisch und umstritten. In Goethes Faust versucht Faust das Wort "in sein geliebtes Deutsch" neu zu übersetzen. Goethe war Freimaurer und der Text muss ihm besonders nahe gelegen haben. Geschrieben steht: "Am Anfang war das Wort! 'Allein hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen. Ich muss es anders übersetzen. Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile. Dass Deine Feder sich nicht übereile. Es sollte stehn: "Am Anfang war die Kraft". Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat. Und schreib' getrost: Im Anfang war die Tat!" Weiter kommt Faust nicht, denn sein Pudel stört ihn, und die ‚Tat" als Uebersetzung kann wohl auch nicht befriedigen. Was also bedeutet "Am Anfang war das Wort"? Im griechischen Urtext heisst das Wort ‚"Lagos". Lagos, zur Zeit Christi, war ein vieldeutiger Begriff. Langenscheidt zählt nicht weniger als 32 verschiedene Bedeutungen auf. Logos hängt mit "legein", reden zusammen und kann durchaus als Wort übersetzt werden. Im Griechischen kann es aber ebensogut Weltgeist oder Denkkraft oder Vernunft oder Aussage bedeuten. Die richtige Uebersetzung gibt wohl das Johannesevangelium selbst an: "In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen". Licht ist das, was von Gott zum Menschen kommt was uns mit dem Transzendenten, dem Ewigen verbindet gleichgültig mit welchem Wort wir das Unaussprechbare bezeichnen. Licht ist deshalb auch ein zentraler Begriff der Freimaurerei. Das Licht vom Osten ist das, was das Denken und Tun des Maurers erfüllt. Die lnitiation ist ein Weg vom Dunkel ins Licht. Deshalb tun wir gut, das erste Kapitel Johanni In der Loge aufzuschlagen und unser Ritual modifiziert am Schluss nach getaner Arbeit das Bibelwort und darf sagen: "Und das Licht leuchtet in der Dunkelheit". Das will heissen: Bei uns ist das Licht verstanden worden. Brüder, s'ist heute Johannistag. Er fällt zusammen mit dem Tag der Sommersonnenwende, nicht zufällig. Es ist der Tag, an welchem am meisten Licht in der Welt scheint. Die Feier der Sonnenumkehr, der Sommer- und der Wintersonnenwende sind ältestes Kulturgut der Menschheit. Der Tag an welchem das Licht am hellsten scheint und der Tag, an welchem nach der Dunkelheit das Licht wieder zunimmt sind schon heidnische Festtage gewesen, viel älter als das Christentum. Die Kirche, da sie diese kosmischen Tage nicht abschaffen konnte, hat sie nur zum Tag zweier ihrer Heiligen erklärt, Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten. Sie beide zeugten vom Licht, vom Licht im freimaurerischen Sinne. Zu Recht sind sie Schutzpatrone der Freimaurerei. Indem wir ihrer zweimal im Jahr gedenken, nehmen wir uns vor: Sorgen wir, dass das Licht immer mehr in der Finsternis scheint.
Br. W. H.